Welche Texte und Archivalien gehören in einen Raum, in dem es um die unterschiedlichen Arten und Weisen geht, Afrika zu erzählen – aus den Ländern Afrikas ebenso wie aus Europa oder den USA? Diese Frage wird kooperativ und Schritt für Schritt in einer Open-Space-Ausstellung seit dem 10. November 2019 im Literaturmuseum der Moderne mit verschiedenen Kuratoren aus unterschiedlichen Ländern, u.a. mit Partnern aus Namibia, verhandelt. Im ersten Schritt zeigen wir politisch, ethisch und künstlerisch fragwürdige Afrika-Erzählungen aus der deutschsprachigen Literaturgeschichte seit der Kolonialzeit.

Da zur Eindämmung von Covid-19 weder der geplante Ausstellungsworkshop in Namibia noch das geplante Literaturfestival mit Schriftstellern aus Afrika im Juni 2020 in Marbach stattfinden können, ergänzen wir die Ausstellung um einen virtuellen Raum, in dem die Kuratoren ihre ausgewählten Texte oder Objekte vorstellen.

Place de Fêtes‹ heißt der Roman, aus dem der togoische Autor Sami Tchak liest. Seit 2013 liegt das Buch unter dem Titel ›Scheiß Leben‹ in der deutschen Übersetzung von Uta Goridis und Nicole Gabriel vor. Es erzählt die Geschichte eines jungen schwarzen Mannes aus dem Pariser Banlieue, der sein Vorstadt-Image loswerden und deswegen nach Paris-Mitte ziehen will, während sein Vater sich zurück nach Afrika sehnt.

Sami Tchak, geboren und aufgewachsen in Togo, lebt seit 1986 in Frankreich. Er ist promovierter Soziologe; sein erster Roman „Place des fêtes“ (dt. „Scheiß Leben“ 2004, übers. von Uta Goridis und Nicole Gabriel) erschien 2001, zahlreiche Romane und Essays folgten, seine jüngste Publikation ist „Les fables du moineau“ (Gallimard 2020).

Sami Tchak über sich: Sami Tchak ist ein Pseudonym für Sadamba Tcha-Koura. Ich wurde 1960 in Togo geboren, erwarb dort meine Licence in Philosophie und verteidigte 1993 meine Dissertation in Soziologie an der Universität Sorbonne-Paris V. Seit einigen Jahren widme ich mich dem Schreiben. Zu meinen Veröffentlichungen gehören Place des Fêtes (2001; dt. Scheiß Leben, 2004) Hermina (2003), La fête des masques (2004), Le paradis des Chiots (2006), Filles de Mexico (2008). Al Capone le Malien (2011), La couleur de l’écrivain (2014), Ainsi parlait mon père (2018), Les fables du moineau (2020). Seit 1986 lebe ich in Frankreich. Afrika, dieser Kontinent, auf dem sich mein Land, Togo, befindet, ist für mich eine Selbstverständlichkeit, aber auch der Ort meiner vielfachen Unkenntnis. Eine Selbstverständlichkeit, weil ich Afrikaner bin, weil ich von diesem Kontinent herstamme. Ort meiner vielfachen Unkenntnis, weil es ein riesiger Kontinent mit 56 Staaten und Hunderten von Völkern ist, deren Kulturen sich nicht in allen Punkten ähneln. Afrika ist mein Kontinent, aber erst in den Büchern, viele davon von Europäern verfasst, habe ich gelernt, es ein bisschen kennenzulernen. Meine zahlreichen Reisen in mindestens 20 afrikanische Länder haben mir weitere Eindrücke geschenkt. Afrika ist der Kontinent, von dem ich komme, aber bis zum Ende meines Lebens wird es für mich eine Realität sein, die ich nur in Bruchstücken kennen werde. Folglich werde ich nicht sagen „bei uns in Afrika“. Selbst mein kleines Dorf ist von einer großen Komplexität, und ich bräuchte ein ganzes Leben, um zu versuchen, sie zu verstehen.

Weitere Informationen: Literaturmuseen Marbach

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