Im Rahmen des Digital-Kongresses „Geteilte Heimaten Deutschland und Europa als interkulturelle Erfahrungsräume“
Referent*innen: LENA GORELIK; Basil Kerski; JULIA DUMAY, stellvertretende Bürgermeisterin, Straßburg; JANA SIMON, Journalistin; Prof. Dr. HANS VORLÄNDER, Politikwissenschaftler, MIDEM, Technische Universität Dresden
Moderation: CORNELIUS POLLMER, Journalist, Süddeutsche Zeitung
Wie steht es über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung und dem Beginn der Transformationen im Osten des Kontinents um den gesellschaftlichen Zusammenhalt? Gibt es nach der „Wende“ und dem Zerfall des Ostblocks eine gesamtdeutsche (oder gar eine europäische) Identität? Wer gehört dazu, wer fühlt sich zugehörig? Welche sozialen, kulturellen und politischen Spaltungen und Verwerfungen sind dominant?Die Diskussion sucht auch und besonders die Auseinandersetzung mit den problematischen Aspekten des Umgangs mit Vielfalt in Deutschland und Europa: Das Thema Migration hat in den vergangenen Jahren, insbesondere seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015, in ganz Europa zu gesellschaftlichen Polarisierungen geführt. Der Blick auf die Entwicklungen in den osteuropäischen Transformationsgesellschaften ebenso wie auf westeuropäische Nachbarn zeigt, dass deutsch-deutsche Konfliktthemen sich auch auf europäischer Ebene wiederholen und zuspitzen und sich die Frage nach einem gesellschaftlichen Zusammenhalt in Vielfalt auch und besonders auf europäischer Ebene stellt. Inwieweit diese Polarisierungen auf grundsätzlichere Fragen des (historischen und gegenwärtigen) Verhältnisses zwischen Ost- und Westeuropa verweisen, wird ebenso Teil des Themenschwerpunktes sein.
Referent*innen: Dr. MERON MENDEL, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank Frankfurt am Main; PEGGY PIESCHE, Kulturwissenschaftlerin und Referentin für Diversität, Intersektionalität und Dekolonialität der Bundeszentrale für politische Bildung; Dr. THOMAS OBERENDER Dramaturg, Intendant der Berliner Festspiele
Moderation: Prof. Dr. CLAUDIA WEBER, Historikerin, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder)
Geschichte ist nicht vergangen, sie ist ein wichtiger Bestandteil gegenwärtiger Auseinandersetzungen um gesellschaftliche Deutungshoheit. Das Podiumsgespräch eröffnet einen Verständigungsprozess über „geteilte“ Geschichte(n) im vereinten Deutschland und Europa. Es fragt, ob es für ein gesellschaftliches Zusammenwachsen eine kollektive historische Erinnerung benötigt, und wie diese vielstimmig erzählt werden kann: Welchen Stellenwert besitzen nationale Geschichtserzählungen? Wie setzen diese sich zur Pluralisierung moderner Gesellschaften in Beziehung? Wer erzählt, und wessen Geschichten werden Bestandteil kollektiver Erinnerung? Kann eine europäische Geschichte bzw. Geschichtsschreibung integrierend wirken?Es kommen diejenigen zu Wort, die als Historikerinnen, Schriftstellerinnen, als Kulturschaffende in Theatern und Museen die Produktion historischer Erinnerung und Erzählungen mitgestalten.
Referent*innen: Liviana Bath, Kulturanthropologin und Theaterpädagogin, Zittau; Prof. Dr. Robert Knippschild, Raumplaner, Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung Dresden/Zittau; Miriam Tscholl, Regisseurin, DresdenModeration: Andreas Tietze, Bildungsreferent, Aktion Zivilcourage e. V.
Abwanderungsbewegungen vom Land in die Stadt führen nicht nur zu einer Veränderung regionaler Bevölkerungsstrukturen, sondern auch zu Verschiebungen der politischen Landschaft. Im Zuge des Wandels zur digitalen Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft machen Teile der Bevölkerung dabei insbesondere auf dem Land alltägliche Erfahrungen einer ökonomischen, sozialen und kulturellen Deklassierung — eines scheinbaren Bedeutungsverlusts der eigenen Lebensweise, einer Entwertung der eigenen Identität, Kultur und Wissensbestände. Die jüngeren Generationen zieht es in die großen Städte und vor der eigenen Tür zerfällt die Sozial- und Verkehrsinfrastruktur zusehends. Gerade in ländlichen Regionen gelingt es neuen politischen Akteuren aus den damit einhergehenden Gefühlen der Zurücksetzung und Deklassierung erfolgreich Kapital zu schlagen, indem sie ihnen — auch mit Hilfe einer Rückbesinnung auf national-kulturelle Identitätsmuster — ein neues gesellschaftliches Selbstwert- und politisches Selbstwirksamkeitsgefühl vermittelt. Das Panel möchte diese politisch-sozialen, aber auch kulturellen Polarisierungsprozesse aufgreifen, die sich heute an der Differenz zwischen urbanen Zentren und ländlichen Regionen materialisieren. Es fragt, welche Konsequenzen die Bevölkerungsentwicklung im ländlichen Raum für Politik und Gesellschaft, aber auch Kunst und Kultur hat, aber auch, wie im Kontext von Ab- und Zuwanderungsprozessen neue Formen von Zusammenhalt gestiftet werden können. Wie lassen sich ländliche Lebensentwürfe heute beschreiben? Welche konkreten Maßnahmen, Projekte und Strategien können einer wachsenden soziokulturellen Spaltung zwischen Stadt und Land entgegenwirken? Wie verhalten sich kulturelle Pluralität, Heimatbezüge und Tradition zueinander? Welche Rolle spielen Kunst und Kultur für einen lebenswerten ländlichen Raum?
Referent: BASIL KERSKI, Politikwissenschaftler und Autor, Direktor des Solidarność-Zentrums Danzig
Der Impulsvortrag zeichnet die großen Linien politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen der vergangenen 30 Jahre nach und zeigt Spannungsfelder und Bruchzonen auf. Im Fokus stehen Migration und gesellschaftliche Pluralisierung ebenso wie das Verhältnis von Ost und West.Basil Kerski ist Publizist und Autor und seit 2011 Direktor des Europäischen Solidarność-Zentrums in Danzig. Der Politikwissenschaftler und Slawist war zuvor u.a. im deutsch-amerikanischen Aspen-Institut Berlin, im Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, im Deutschen Bundestag sowie für das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung tätig. Seit 1998 ist er zudem Chefredakteur des zweisprachigen Deutsch-Polnischen Magazins DIALOG. Für sein europäisches Engagement erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter 2016 den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland. Er lebt in Berlin und Danzig.
Referentinnen: Andreas Bialas, kulturpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion NRW und Vizepräsident der Kulturpolitischen Gesellschaft; Sanem Kleff, Pädagogin und Vorstandsvorsitzende der Aktion Courage Berlin; Prof. Dr. Raj Kollmorgen, Soziologe, Hochschule Zittau/Görlitz; Ayman Qasarwa, Geschäftsführer, Dachverband der Migrantinnenorganisationen in Ostdeutschland (DaMOst)
Moderation: Dr. Susanne Kailitz, Journalistin
Mit Blick auf politische, ökonomische und gesellschaftliche Entwicklungen sind 30 Jahre nach der Wiedervereinigung noch immer Unterschiede zwischen Ost und West feststellbar. Nicht nur beim Thema Zuwanderung kann sowohl innerhalb Deutschlands, als auch innerhalb Europas regelmäßig ein Aufeinanderprallen unterschiedlicher Anschauungen beobachtet werden. Dabei zeichnet sich ein grundlegender Konflikt ab, der trotz seiner ökonomischen und sozialen Dimensionen vor allem als kulturelle Auseinandersetzung zwischen eher liberal-kosmopolitisch und eher konservativ-ethnozentrisch orientierten Teilen der Bürgerschaft ausgetragen wird. Im Osten werden diese Konfliktlinien zusätzlich von den Spätfolgen der Transformation überlagert. Hier sind noch immer die Nachwirkungen enttäuschter Hoffnungen, Erwartungen und Versprechen, aber etwa auch eine höhere Neigung zu autoritären Orientierungen zu spüren. Verschärfend kommt hinzu, dass in der Beschreibung dieser Problemlagen regelmäßig eine Deutungshoheit des Westens über den Osten beklagt und als Entwertung der eigenen Identität durch ‘den Westen’ betrachtet wird.Das Podiumsgespräch nimmt eine Bestandsaufnahme dieser unterschiedlichen und zum Teil aufeinander bezogenen Orientierungen zwischen Ost und West vor: Wie verlaufen sie als politisch-kulturelle Spaltungslinien innerhalb Deutschlands und Europas? Wie sind die Unterschiede zu erklären? Welche Probleme sind in den vergangenen Jahren sichtbar geworden? Wo stehen wir heute und wie wird sich das Ost-West Verhältnis entwickeln?
Referent*innen: Luise Börner, Musikpädagogin, Musaik — Grenzenlos Musizieren e. V., Emiliano Chaimite, Dachverband sächsischer Migrantenorganisationen; Dr. Noa K. Ha, Stadtsoziologin, DeZIM-Institut Berlin; Maik Herold, Politikwissen-schaftler, MIDEM, Technische Universität Dresden
Moderation: Kristina Daniels, Geschäftsführerin, Kolibri e. V.
Wie kein anderes Thema hat Migration in den vergangenen Jahren die öffentlichen Debatten in Deutschland und Europa bestimmt. Kontroversen über die Aufnahme, Verteilung und Integration, aber auch die Rückführung von Flüchtlingen sowie die Zu- und Abwanderung von Fachkräften haben nicht nur Regierungen und Parlamente, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger beschäftigt und werden bis heute in Umfragen zu den drängendsten politisch-gesellschaftlichen Fragen gezählt. Dabei wurde Verbindendes wie Trennendes in Europa sichtbar. Auf der einen Seite konnte das Migrationsthema eine Art gesamteuropäisches Problembewusstsein, eine gemeinsame Form der Öffentlichkeit schaffen. Auf der anderen Seite wurden hier tiefe Verwerfungen innerhalb Europas sichtbar. Rechtspopulistische und rechtsextreme Akteure haben in fast allen Mitgliedsstaaten der EU das Thema aufgegriffen und erfolgreich instrumentalisiert. In Deutschland haben Fragen der Migrationspolitik große deutungskulturelle Unterschiede zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsteilen, zwischen Stadt und Land, aber auch zwischen Ost und West sichtbar und politisch instrumentalisierbar gemacht. Sie hat zum Teil weitreichende Veränderungen in der politischen Landschaft angestoßen und zu Polarisierungen geführt. Sie hat aber ebenso Prozesse der Neuaushandlung kollektiver Selbstbeschreibungsmuster angestoßen.Am Beispiel der Dresdner Erfahrungen fragt das Panel nach Prozessen der Aushandlung von Zugehörigkeit, Anerkennung und Identität. Wie werden in der heutigen Migrationsgesellschaft neue Formen gemeinsamer Selbstbeschreibung gefunden? Welche Rolle spielt die kulturelle Praxis dabei? Welche unterschiedlichen Erfahrungen wurden und werden hier in Ost und West gemacht? Wie unterscheiden sich die Perspektiven von Migrantinnen und Migranten sowie Menschen mit Migrationshintergrund aus unterschiedlichen Regionen?
Referentin: Katrin Rohnstock, Inhaberin Rohnstock Biografien und Entwicklerin des Erzählsalons
Es gibt in unserer Gesellschaft ein eklatantes Missverhältnis zwischen Reden und Zuhören: Die einen sprechen und die anderen schweigen. Doch erzählen kann jeder! Erzählen macht Spaß. Den idealen Raum dafür eröffnet der Erzählsalon, der mit Hilfe der Salonnière Katrin Rohnstock eine Balance zwischen Mitteilen und Zuhören herstellt. Bis zu sechs Teilnehmer*innen sind eingeladen, ihre Geschichte zum Thema zu erzählen und somit selbst zu erfahren, was das kollektive Erzählen bewirkt.
Referent*innen: MAX CZOLLEK, Politikwissenschaftler und Autor; ANNEKATRIN KLEPSCH, Beigeordnete für Kultur und Tourismus der Landeshauptstadt Dresden; Dr. TOBIAS KNOBLICH, Beigeordneter für Kultur und Stadtentwicklung der Landeshauptstadt Erfurt und Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft; THOMAS KRÜGER, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung; Dr. Ulrike Lorenz, Präsidentin der Klassik Stiftung Weimar
Moderation: VLADIMIR BALZER
Welche Rolle spielen Kultur und Bildung für die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts? Müssen Kunst und Kultur integrativ wirken, oder sollen sie sich positionieren oder gar polarisieren? Wie können plurale Identitäten einbezogen und sichtbar gemacht werden? Darum ging es in der abschließenden Diskussion des Digital-Kongresses „Geteilte Heimaten Deutschland und Europa als interkulturelle Erfahrungsräume“.
Referent*innen: Prof. Dr. BILGIN AYATA, Soziologin und Politikwissenschaftlerin, Universität Graz; Prof. Dr. NAIKA FOROUTAN, Sozialwissenschaftlerin, DeZIM-Institut Berlin; Prof. Dr. KARL-HEINZ PAQUÉ, Wirtschaftswissenschaftler, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg; Prof. Dr. PAUL SCHEFFER Soziologe, Universität Tilburg
Moderation: CORNELIUS POLLMER, Journalist, Süddeutsche Zeitung
Das Streitgespräch begibt sich auf die Suche nach Bedingungen, Möglichkeiten und Visionen eines Zusammenlebens in Vielfalt — in Deutschland und in Europa. Kontroverse Positionen und Visionen werden auch in Hinblick auf die in den vergangenen Tagen thematisierten Spannungslinien und Bruchzonen geprüft: Welche Antwort geben sie auf die spannungsreiche Ausgangssituation? Eignen sie sich als in der Breite akzeptable gesellschaftliche Leitbilder? Wie integrativ sind sie mit Blick auf eine in politischen und kulturellen Werten pluralisierte Bevölkerung?
Weitere Informationen: Deutsches Hygiene-Museum Dresden
Eine Veranstaltung des Deutschen Hygiene-Museums in Kooperation mit der Landeshauptstadt Dresden, der Bundeszentrale für politische Bildung, der Konferenz Nationaler Kultureinrichtungen, dem Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM) an der Technischen Universität Dresden, dem Dachverband der Migrant*innenorganisationen in Ostdeutschland, der Kulturpolitischen Gesellschaft und „Debates on Europe“
A Debates on Europe panel featuring JAN CARSON (writer, Northern Ireland), LÁSZLÓ FÖLDÉNYI (art theorist, literary scholar and essayist, Hungary) and IRYNA VIDANAVA (author and media activist, Belarus)
Moderator: CARL HENRIK FREDRIKSSON (Programme Director, Debates on Europe)
Art and culture have a unique capacity to both describe and shape shared experience. Even create it. But cultural expression — be it in art, literature or the media — also fulfils a critical, controversial and provocative role in society, representing a corrective to power and a challenge to alleged consensus. What role can art and culture have in bridging divisions and contributing to social cohesion? Should it all be assigned such a task? In a panel discussion spanning European societies characterized by conflict and division — from Northern Ireland in the west, via Hungary, to Belarus in the east — prominent cultural actors and activists speak about the integrative force and critical potential of culture
The discussion was part of the Digital Congress „Divided Societies: Germany and Europe as Intercultural Spaces of Experience“ (10 to 12 May 2021).
An event of the Deutsches Hygiene-Museum Dresden in cooperation with the City of Dresden, the Federal Agency for Civic Education, the Conference of National Cultural Institutions, the Mercator Forum Migration and Democracy (MIDEM) at the Technical University of Dresden, the umbrella organization of migrant organizations in Eastern Germany, the Kulturpolitische Gesellschaft and „Debates on Europe“.
More Information: Deutsches Hygiene-Museum Dresden