Dries Verhoeven arbeitet an der Schnittstelle von Performance und Installation. Er strebt danach, die Beziehungen zwischen Zuschauern, Performern, dem täglichen Leben und der Kunst zu verwischen. Oftmals arbeitet er zusammen mit „Außenseitern“, Menschen am Rande der Gesellschaft. Statt klare Aussagen über das Leben dieser Menschen zu treffen, geht es Verhoeven darum die Besucher*innen bei der Betrachtung seiner Kunstwerke aus dem Gleichgewicht zu bringen, der Zweifel zu aktivieren.

In Songs for Thomas Piketty hören wir die Stimme und den Gesang eines albanischen Obdachlosen, dem der Künstler vor einem Supermarkt in den Bonner Quantiusstraße begegnet ist. Der Mann ist unsichtbar. Seine Stimme klingt in einer Endlosschleife aus einem Kassettenrekorder, der am Museumseingang platziert ist. Die Arbeit verweist auf aktives Betteln um Geld, das momentan in vielen Städten verboten ist, so auch in Bonn, wo nur stilles Betteln erlaubt ist.

Verhoeven untersucht die Präsenz der Armut im öffentlichen Raum und hinterfragt die Gefühle des Unwohlseins, die uns möglicherweise befallen, wenn wir konfrontiert werden mit denen die (scheinbar) arm sind.

In Westeuropa, wo nach wie vor großer Wohlstand herrscht, steigt die Armut. Innerhalb der EU werden die wirtschaftlich starken Länder von den schwächeren Mitgliedstaaten um Hilfe gebeten. Obdachlose, finanziell schlechter gestellte Menschen aus den Balkanländern sowie ehemals Geflüchtete leben in westeuropäische Städte. Der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty belegt, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich in den kommenden Jahren weiter öffnen wird.

Gleichzeitig ist es nicht Evident das diese Entwicklung sichtbar wird in unsere Stadtzentren, die immer mehr blitzsauber und aufgeräumt wirken. Parkbänke werden heutzutage so konstruiert, dass man nicht mehr darauf liegen kann, und windgeschützte Nischen werden versperrt. In vielen Großstädten gilt aktives Betteln um Geld im öffentlichen Raum als „aggressiver Akt“ und ist deshalb verboten. Verhoeven meint, dass solche Maßnahmen die repräsentative Funktion des öffentlichen Raumes untergraben. Wer Unbehagen hervorruft, wird subtil zum Schweigen gebracht.

Die Audio-Installation Songs for Thomas Piketty fordert uns auf, das Unwohlsein zu überdenken, das uns befällt, wenn wir auf der Straße um Geld gebeten werden. Für Dries Verhoeven ist das Betteln um Geld eine Art Performance. Schließlich ist die Stimme des Bettlers, seine Sprache – oder auch sein Gesang und seine Musik – ausschlaggebend dafür, ob Passant*innen sich angesprochen fühlen oder eine Spende verweigern und der Situation ausweichen.

Warum lassen wir uns von großen Konzernen so leicht zum Kauf von Produkten aller Art manipulieren, werden aber misstrauisch, wenn ein Mann auf der Straße uns sein Drama verkaufen will? Könnten wir nicht diesen Mann, seine Leistung, seine Performance, anerkennen, unabhängig von der Glaubwürdigkeit seiner Bitte um Hilfe?

Mehr unter: www.bundeskunsthalle.de/stateofthearts.html

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