Das Kunstmuseum Ravensburg widmet sich in der Ausstellung KÖRPERSPRACHEN einer der herausragendsten Bildhauerinnen des 20. Jahrhunderts: Alina Szapocznikow (1926–1973). Mit über 80 Skulpturen und Zeichnungen aus dem Zeitraum von den 1950er Jahren bis kurz vor ihrem frühen Tod im Jahr 1973 ermöglicht diese umfassende Schau erstmals im deutschsprachigen Raum einen tiefen Einblick in das Schaffen einer Künstlerin, die erst in den letzten zwei Jahrzehnten internationale Anerkennung erlangte.
Szapocznikow, die während des Zweiten Weltkriegs als Überlebende des Holocausts traumatische Erfahrungen sammelte, fokussierte in ihren Arbeiten unermüdlich den menschlichen Körper. Sie thematisierte dessen Fragilität und die Paradoxien des Lebens auf schonungslose Weise. Als eine der Pionierinnen der modernen Bildhauerei, neben Größen wie Lynda Benglis, Louise Bourgeois und Eva Hesse, revolutionierte sie das Bild der Skulptur durch die Verwendung unkonventioneller Materialien und innovativer Techniken.
Die Ausstellung zeigt eine Vielfalt an Arbeiten, die von Szapocznikows experimentellster Schaffensphase der 1960er Jahre in Paris geprägt sind. Besonders eindrucksvoll ist ihre Auseinandersetzung mit dem weiblichen Körper, die sie in Serien wie Lampe-bouche (1966) und Sculpture-lampe (1970) thematisierte. Diese Werke, die Skulpturen und Gebrauchsobjekte miteinander verbinden, bestechen durch eine Mischung aus Sinnlichkeit und Provokation. Abgüsse von Körperzonen wie Lippen, Brüsten und Phalli werden zu funkelnden Lampen und floralen Formationen, die sowohl mit der Erotik als auch mit der Konsumgesellschaft spielen.
Doch nicht nur die Darstellung des Körpers als erotisches Objekt beschäftigt die Künstlerin. Szapocznikow geht weiter und dekonstruiert in ihren Arbeiten die Ganzheit des menschlichen Körpers, wie etwa in der Skulptur Eksumowany (1955/1957) oder Maria Magdalena (1959–1960), und setzt in den 1960er Jahren maschinelle Elemente in ihre Werke ein, etwa in der monumentalen Plastik Machine en chair (1963–1964).
Der Zerfall und die Verletzlichkeit des Körpers, die Szapocznikow bereits als Kind in den Konzentrationslagern erlebte, sind zentrale Themen ihres Werkes. Mit ihrer Diagnose Brustkrebs im Jahr 1969 verschob sich ihre künstlerische Auseinandersetzung zunehmend in den Bereich der Erinnerung und Vergänglichkeit. Ihre Tumor-Skulpturen aus Polyesterharz und die späte Serie Herbier (1971) dokumentieren ihre Auseinandersetzung mit dem Tod und dem Versuch, das Vergängliche über Skulptur zu bewahren. Diese Werke, aus Abgüssen ihres eigenen Körpers und ihres Sohnes Piotr, erinnern an die Haut als Hülle der menschlichen Existenz und vermitteln die Zartheit und Vergänglichkeit des Lebens.
Die Ausstellung KÖRPERSPRACHEN, kuratiert von Ute Stuffer und Prof. Dr. Ursula Ströbele, beleuchtet Szapocznikows einzigartige Fähigkeit, den menschlichen Körper nicht nur als formgebendes, sondern auch als bedeutungsvolles Symbol zu begreifen. Ihr Werk ist ein kraftvolles Zeugnis für den Ausdruck der Verletzlichkeit und Vitalität, die in uns allen liegen. Es zeigt, dass Kunst nicht nur der Darstellung der Welt dient, sondern auch als ein Medium für tiefgehende Auseinandersetzungen mit Leben, Tod und der Zeitlosigkeit menschlicher Erfahrung.
Begleitend zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog im Verlag für moderne Kunst mit Beiträgen von Jo Applin, Griselda Pollock, Dietmar Rübel, Marta Smolińska und Sarah Wilson. KÖRPERSPRACHEN ist eine Kooperation zwischen dem Kunstmuseum Ravensburg und dem Musée de Grenoble und bietet eine außergewöhnliche Gelegenheit, die bedeutende Künstlerpersönlichkeit Alina Szapocznikow zu entdecken und zu würdigen.
Die Ausstellung ist noch bis zum 13. Juni 2025 zu sehen – ein Muss für Kunstliebhaber und jene, die sich mit der Bildhauerei der Moderne auseinander setzen möchten.
Mehr unter: www.kunstmuseum-ravensburg.de