In einer Doppelpräsentation zeigt das Museum Ludwig neu erworbene Fotografien von Alfred Ehrhardt (1901–1984) in Dialog mit Aufnahmen von Elfriede Stegemeyer (1908–1988). Sie sind sich im Leben nie begegnet und doch teilten sie einige Jahre ein gemeinsames Interesse: das Fotografieren von Wasser, Strand und Sand.

Ehrhardt studierte 1928/1929 am Dessauer Bauhaus Malerei, u.a. bei Paul Klee und Wassily Kandinsky. 1933 wurde er wegen seiner modernistischen Kunstauffassung von den Nationalsozialisten aus dem Schuldienst an der Hamburger Landeskunstschule entlassen. Mit seiner Kamera suchte er Strukturen und abstrakte Formen im Dünensand der Kurischen Nehrung und im Watt. Er entdeckte Erhabenes im Detail – seine Form der inneren Emigration. Immer ging es ihm um das Wirken von „Urkräften“, abseits der Zivilisation, um „das Wesentliche“. 1967 fasste er es so zusammen: „Es kam mir darauf an, bereits im Ausschnitt das organisch Ganze zu zeigen, was nur möglich ist, wenn man die Statik einer Erscheinungsform in der Wahl des Ausschnitts überwindet und das dynamische Element des Objekts so im Licht und im Winkel fasst, dass trotz des Ausschnitts das Ganze lebendig wird. Man darf also auf dem Gebiet der Fotografie durchaus von einer Gestaltung sprechen. Sie besteht allerdings nicht in optischen Kniffen und Tricks. Sie besteht vielmehr in einer Art grundsätzlich neuen Sehens, das uns das Wesentliche der Dinge offenbart.“ Publiziert hat Ehrhardt seine Werke in Fotobüchern wie „Die Kurische Nehrung“ (1934) und „Das Watt“ (1937) oder später in „Wattenmeer. Formen und Strukturen“ (1967). Neben den Aufnahmen im Freien entstanden im Atelier neusachliche Vergrößerungen von Muschelschalen und Schneckengehäusen, später auch avantgardistische Filme wie der 1959 veröffentlichte und preisgekrönte  „Tanz der Muscheln“.

Auch Elfriede Stegemeyer hatte zunächst in anderen Medien künstlerisch gearbeitet bevor sie 1932 zur Kamera griff. Sie stand in engem Kontakt zur Künstler*innengruppe der Kölner Progressiven und der Dadaisten  und ging noch einen Schritt weiter: sie nutzte Fotografien, die sie auf Sylt, auf Ibiza – wo sie den Künstler Raoul Hausmann besuchte – und auf Sizilien angefertigt hatte für Collagen oder übermalte sie mit dem Pinsel. „ich stehe zu sehr hinter meiner arbeit“, schrieb sie um 1981 an den Kunsthistoriker Uli Bohnen, „als dass ich sie etikettieren könnte, aber wenn ich darüber nachgrübele, würde ich sie bei ‚naturlieb‘ einordnen, weil ich alles lebendige in gefahr sehe, und irgendwo meine ich, dass ich durch meine arbeit dem kern der dinge nähergekommen bin, ich lasse mein ‚ding‘ möglichst von selber wachsen, was ich dazu tue ist beobachten, untersuchen, einkreisen, verbinden – auch auf die gefahr von fehlschlüssen. wenn wir uns nicht selbst riskieren, gewinnen wir das lebendige nicht. Deshalb riskiere ich folgende betrachtung: ich glaube nicht, dass abstraktion allein zielführend ist. struktur ist an sich keine abstraktion. aber sie umschliesst sie und schliesst sie aus. Ich meine, man sollte alle doktrinen vermeiden, sie hemmen den natürlichen fluss.“ Ein Großteil von Elfriede Stegemeyers Werk wurde 1943 bei einem Bombenangriff zerstört.

Sowohl Elfriede Stegemeyer als auch Alfred Ehrhardt ersetzten das klassische Seestück, also die maritime Darstellung, durch die Seherfahrung natürlicher Strukturen. Beide griffen zur Zeit des Nationalsozialismus zur Kamera, einem Medium, das weniger im Fokus der NS-Kunstzensur und -zerstörung stand.Sie wandten sich in ihren Bildern der Natur zu, und vom Menschen ab undwählten mit ihrer Kamera Ausschnitte, die die Natur abstrahieren. Elfriede Stegemeyer und Alfred Ehrhadt zählten zur fotografischen Avantgarde und wurden erst spät wirklich entdeckt.

Alle Aufnahmen der Präsentation sind Neuzugänge in der Sammlung Fotografie des Museum Ludwig. Alfred Ehrhardts Werke stammen aus einer großzügigen Schenkung der Familie Bartenbach. Elfriede Stegemeyers Fotografien wurden jüngst aus dem Nachlass des Galeristen Gerd Sander erworben, der mit dazu beigetragen hatte, Stegemeyers Werk bekannt zu machen. Einmal mehr zeigt sich: Die fotografische Moderne ist noch immer nicht auserzählt.

Mehr unter: www.museum-ludwig.de

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