Ein Hauch von Ewigkeit wehte im Sommer 2024 durch das Diözesanmuseum Freising. In einer historischen Geste kehrte eines der bedeutendsten Objekte bayerischer Frühgeschichte für wenige Monate in seine geistige Heimat zurück: der Tassilo-Liutpirc-Kelch. Zum ersten Mal überhaupt verließ das Kunstwerk von Weltrang seine jahrtausendelange Bleibe im österreichischen Benediktinerstift Kremsmünster – um als Glanzstück der Bayerischen Landesausstellung „Tassilo, Korbinian und der Bär – Bayern im frühen Mittelalter“ eine neue Geschichte zu erzählen: die seiner Rückkehr.

Der Kelch, ein Wunderwerk frühmittelalterlicher Goldschmiedekunst, ist weit mehr als ein liturgisches Gefäß. Er ist Manifest, Memorial, Machtzeichen. Gestiftet wurde er im 8. Jahrhundert vom bayerischen Herzog Tassilo III., letzter Spross der Agilolfinger-Dynastie, und seiner Frau Liutpirc, einer langobardischen Königstochter. Die beiden sind auf dem Kelch verewigt, nicht durch Abbild, sondern durch Wort: „Tassilo, starker Herzog – Liutpirc, königlicher Spross“, verkündet die lateinische Inschrift auf dem Kelchfuß. Zwei Namen, eingebrannt in Gold und Zeit.

Tassilo war kein gewöhnlicher Herzog. Er regierte mit der Selbstgewissheit eines Königs und versuchte, sich vom fränkischen Einfluss zu emanzipieren – ein Unterfangen, das ihm 788 zum Verhängnis wurde. Karl der Große ließ ihn absetzen. Doch was bleibt, ist nicht die Niederlage, sondern das Vermächtnis. Der Kelch, vermutlich für den Salzburger Dom bestimmt, gelangte nach Tassilos Sturz ins von ihm gegründete Kloster Kremsmünster – wo er bis heute verwahrt wird, bis auf jenen denkwürdigen Sommer 2024.

Kunsthistorisch markiert der Kelch den Höhepunkt einer eigenen, bewusst vom fränkischen Stil abgesetzten „tassilonischen Hofkunst“. In seiner Form, seiner Ornamentik und seiner Symbolik erzählt er von einer Zeit des kulturellen Aufbruchs, der sich trotz politischer Stürme ein eigenes Gesicht geben wollte.

Noch heute, mehr als tausend Jahre später, zelebrieren die Benediktiner von Kremsmünster am 11. Dezember eine Messe zum Todestag ihres Gründers – mit dem Originalkelch in ihren Händen. Ein liturgischer Akt, der das Sakrale und das Historische in einer einzigen Geste vereint.

Die Ausstellung in Freising war nicht nur eine museale Schau, sondern eine Rückbesinnung – auf Wurzeln, auf Kunst, auf die fragile Größe vergangener Zeiten. Und der Film zum Kelch, entstanden im Rahmen der Landesausstellung, lässt dieses bedeutende Objekt nicht nur sichtbar, sondern spürbar werden: als stiller Zeuge einer bayerischen Frühzeit, in der die Grenze zwischen Glauben, Macht und Kunst noch fließend war.

© Haus der Bayerischen Geschichte, 2024

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