Oben: Die barocken Deckenbilder des Minoritensaals

„Wie stellen wir uns den Himmel vor? Wenn wir an ihn glauben, dann vermutlich als anders als hier: Das hindert uns freilich nicht, das Programm und den Drive dieser Idee an der Wende des 17. zum 18. Jahrhundert verstehen zu wollen. “ So startet Johannes Rauchenberger, Kunsthistoriker und Theologe, das nächste Erzählvideo zu den Deckenbildern des ehemaligen Sommerrefektoriums am Beginn des 18. Jahrhunderts, der heute „Minoritensaal“ heißt.

An der Decke befinden sich drei gleich große Felder, die Platz geben für die Hauptmotive des Bildprogramms. Sie sind, wie schon die Decke im Stiegenaufgang, von prächtigem Akanthusschmuck eingerahmt.

An der Wölbung der Decke sind, angrenzend an die drei Hauptspiegelfelder, je drei rechteckige Bildfelder angebracht, die jeweils unterbrochen werden von ovalen Feldern, die in den jeweiligen Vierecken die Form eines dreipaasförmigen Kartuschenfeld haben. Es gibt zwei Formen der Farbverwendung: Farbabbildungen sozusagen für die Haupterzählfelder und Schwarz (bzw. Braun) – Weiß für die Kartuschenfelder, die die Hauptmotive unterbrechen. Man nennt diese Form auch Grisaille. Diese werden immer dann verwendet, wenn es etwas zu erinnern oder zu beziehen gilt. Sogar einen Maler gilt es auszumachen und eine Jahreszahl: Antonio Maderni PINXIT, 1702. Soweit die Form. Noch ohne Inhalt!

Jetzt erst setzt so etwas ein, was wir in der Kunstgeschichte „Ikonographie“ nennen, also die Lehre von der Erzählung in den Bildern… Die großen Deckenbilder haben drei Motive – „drei Drives“, wie Johannes Rauchenberger sie bezeichnet:

Der erste Drive: Das erste Hauptbild, wenn man den Saal betritt, hat eine Leere im Zentrum. Zwei Hauptengel in Dreiviertel-Rückenansicht halten ein Rauchgefäß in den Händen, dessen Weihrauch aufsteigt. Auch ein dritter, diesmal ein Putto trägt ein solches. Sie verehren also etwas ganz, ganz Heiliges. Doch was? Dieses Etwas erscheint wie ein Uterus, der von zahlreichen kleinen Putti umgeben wird. Es – die LEERE – ist das Zentrum. Im Formenvokabular der katholischen Religion denkt man freilich weniger an die Gebärmutter, sondern an die Monstranz, die es hier himmlisch zu inszenieren gilt. Und in der Tat: Es scheint das PANIS ANGELORUM zu sein, das Engelsbrot, über das schon Thomas von Aquin gedichtet hat. Engel und Essen: Das ist natürlich ein Widerspruch. Also verschiebt sich hier das himmlische Brot auf das Schauen – das hier freilich die reinste Negation ist.

Der zweite Drive: Im Zentrum steht nicht ein Mann, sondern eine Frau. Aus religionsgeschichtlicher Perspektive kann man wohl nicht anders als zu sagen: Im Zentrum dieser Religion stehen eigentlich nicht Männer, sondern eine Göttin. Das ist natürlich häretisch. Aber das Bildprogramm hier ist eigentlich klar. Wo im Stiegenaufgang der Ordensgründer in den Himmel auffährt, ist es hier Maria, die „Königin der Engel“. Alles andere, die vielen Männer unterhalb, sind einfach unwichtig im Vergleich. Und Engel gibt es viele. Kleine Knäblein, sogenannte Putti, haben ebenso Engelsflügel, wie Fürsten, Könige und Kaiser. Alle haben sie hier Flügel. Nur Maria nicht. Sie sitzt auf einem Wolkenballen, der diagonal ansteigt. Sie bricht diese Bewegung mit ihren gestreckten Armen und führt die Bewegung in entgegengesetzter Richtung weiter. Um ihr Haupt hat sie einen Strahlenkranz aus 12 Sternen. Diese Stelle ist im letzten Buch der Bibel (Offb 12,1-4) nachzulesen.

Von der oberen Bildhälfte schweben zwei Putti auf sie herab und halten einen Rosen-Kranz in den Händen. Diesen haben sie offenbar vom letzten, den südlichen Bildfeld erhalten: Theologisch wäre es das Hauptbildfeld, aber das ist hier ob der Gleichheit der Drei nicht so klar.

Der dritte Drive: Trotz der Vielfigurigkeit in diesem Himmel im Grazer Minoritensaal, beim entscheidenden Zentrum der christlichen Gottesidee hat sich der Maler Antonio Maderni frappant zurückgehalten. Kein Gottvater ist zu sehen, kein Sohn zu seiner Rechten, keine Taube. Im Zentrum der Devotion steht ein weißes, gleichseitiges Dreieck, in dessen Zentrum ein Auge steht. Das ist in dieser Zeit das Symbol für die christliche Dreifaltigkeit. Später wird man es als Freimaurer-Symbol, als Symbol für die Vernunft in der französischen Revolution, schließlich sogar auf der Dollarnote finden: IN GOD WE TRUST – das war der erste große Machtbeweis der Evangelikalen in den USA in den 1950er Jahren.

Gemessen am Rest des Bildes – oder der Bilder – ist dieses Dreieck hier vollkommen statisch, es strahlt die perfekte Ruhe aus. Mit gebotener Distanz wird es von Putti gerahmt, im unteren Bildfeld aber wird man des ganzen Schreckens dieser göttlichen Audienz in Form eines Symbols gewahr: Mehrflügelige Engel halten je ein flammendes Herz entgegen, das Symbol für göttliche Liebe.

Mehrflügelig, sechsflügelig… In den folgenden Bildfeldern geht es um die „Hierarchie der Engel“…

Der Kunsthistoriker und Theologe Johannes Rauchenberger erklärt in Erzählvideos das Grazer Minoritenzentrum, ein historisches Minoritenkloster,, das ab 1608 erbaut wurde und am Ende des 17. Jahrhunderts mit dem ehemaligen Sommerrefektorium einen zweiten Baukomplex erhalten hat, der heute „Minoritensaal“ heißt. Der Minoritensaal in Graz ist ein fast freistehender Baukörper, nur im Süden ist er an das bestehende Klostergebäude angedockt. Schauen wir ihn einmal genauer an: Auf einer Sockelzone, die heute den Empfang und den Buffetbereich enthält, baut sich die klare Fassade auf: 7 hohe Fenster, die abwechselnd von einem Dreiecksgiebel und einem Segmentgiebel bekrönt werden, werden durch Pilaster mit ionischem Kapitell untergliedert. Darüber folgt ein zartes Gesims, mit kleinen Konsolen, auf denen das große Dach aufgesetzt ist. Im Norden, also ganz rechts, befindet sich das repräsentative Stiegenhaus, durch das man in den Minoritensaal kommt. Erbaut wurde dieser klare Bau vom Architekten Joachim Carlone, einem Spross einer berühmten italienischen Architektenfanilie: Carlone baut auch etwa zeitgleich die Stiftskirche in Pöllau. Der Zweck: Ein Sommerrefektorium für die Minoritenbrüder. Bezahlt bzw. gestiftet hat diesen Johann Seyfried von Eggenberg (1644–1713). Er lässt sich über dem Eingang auch abbilden. Dieses Stifterportrait zeigt ihn über dem Eingangsportal. Er hält das Modell des Minoritensaals in der Hand.

Mehr unter: kultum.at

Abonniere unseren Newsletter