Die Geschichte Algeriens ist geprägt von kolonialen Verwerfungen, kultureller Vielfalt – und einer komplexen Beziehung zwischen Juden und Muslimen. In einem öffentlichen Vortrag beleuchtet der Historiker Avner Ofrath die vielschichtigen Verflechtungen dieser beiden Bevölkerungsgruppen zur Zeit der französischen Kolonialherrschaft und darüber hinaus.

Der Titel der Veranstaltung: „Algerische Juden und Muslime: Geteilte und getrennte Wege“. Ofrath, aktuell Alfred Landecker Lecturer in Globalgeschichte an der Freien Universität Berlin, lädt zu einem tiefgehenden Einblick in ein oft übersehenes Kapitel nordafrikanischer Geschichte.

Zentraler Punkt des Vortrags ist das Crémieux-Dekret von 1870, das der jüdischen Minderheit in Algerien die französische Staatsbürgerschaft verlieh – ein Wendepunkt, der das Verhältnis zwischen jüdischen und muslimischen Algerier:innen nachhaltig prägte. Während die jüdische Bevölkerung durch das Dekret zu französischen Bürgern wurde, blieben muslimische Algerier:innen rechtlich außen vor. Diese Entscheidung führte zu langfristigen Spannungen, die auch Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit Algeriens im Jahr 1962 nachwirken.

Der Vortrag stellt Fragen nach dem damaligen und heutigen Selbstverständnis algerischer Juden und Muslime: Welche Vorstellungen hegten sie über ein Zusammenleben in ihrer Heimat? Welche politischen, sozialen und kulturellen Wege beschritten sie – gemeinsam oder getrennt? Und wie wirken diese historischen Weichenstellungen in die Gegenwart hinein?

Anhand historischer Dokumente sowie zeitgenössischer Quellen rekonstruiert Ofrath nicht nur die Ereignisse, sondern auch die Denkweisen, Hoffnungen und Konflikte beider Gruppen. Dabei wird deutlich: Die Geschichte algerischer Juden und Muslime ist nicht nur eine Geschichte der Trennung, sondern auch eine des gemeinsamen Erlebens und gelegentlichen Miteinanders.

Avner Ofrath forscht zur jüdischen Ideengeschichte in der arabischsprachigen Welt, zu jüdisch-muslimischen Beziehungen und zur kolonialen Staatsbürgerschaft. 2023 veröffentlichte er sein Buch Colonial Algeria and the Politics of Citizenship bei Bloomsbury. Aktuell widmet er sich der politischen Literatur judäo-arabischer Autoren im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert.

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