Ortrud Westheider (Direktorin des Museum Barberini), Bernardo Laniado-Romero (Kurator der Ausstellung) und Valerie Hortolani (Kuratorin am Museum Barberini) sprechen über die letzten 20 Jahre in Picassos Leben und sein Spätwerk.

Pablo Picasso (1881–1973) gilt als Erneuerer der Kunst im 20. Jahrhundert. In Malerei, Skulptur, Graphik und Keramik hat er neue Maßstäbe gesetzt. Weniger bekannt ist sein Schaffen aus den letzten zwei Jahrzehnten seines Lebens, als Picasso von seiner Frau Jacqueline mehr Bildnisse schuf als je zuvor von einem anderen Modell. Die Ausstellung Picasso. Das späte Werk zeigt, wie Picasso auch in seinen letzten Schaffensjahren innovativ blieb. Alle Leihgaben stammen aus der Sammlung Jacqueline Picasso (1927– 1986). Ihre Tochter Catherine Hutin stellt diese bislang kaum öffentlich gezeigte Sammlung für die Ausstellung im Museum Barberini zur Verfügung. In der von Gastkurator Bernardo Laniado-Romero getroffenen Auswahl befinden sich zahlreiche Werke, die erstmalig in Deutschland gezeigt werden sowie einige, die zum ersten Mal in einem Museum präsentiert werden.

Als der Photograph Brassaï im Mai 1960 Picasso zum ersten Mal nach fast 15 Jahren wiedersah, machte ihm dessen neues Werk ungeheuren Eindruck: „So brutal aber wie in der Villa Californie bin ich noch nie überfallen worden … Kunst und Natur, Schöpfung und Mythos, Ritterturnier und Stierkampf, Märchenwelt, Olymp und Walpurgisnacht stürmen auf mich ein … Alles will gesehen werden, sich übertrumpfen, will gleichzeitig zu Wort kommen, zerrt an den Nerven, provoziert und überwältigt …“. Der Photograph sah sich im Atelier in Cannes umgeben von Portraits, die Picassos Lebensgefährtin Jacqueline Roque zeigen. Er sah Skulpturen und Assemblagen aus unterschiedlichsten Materialien. Überall lagen Skizzen und Papierarbeiten in neuen Techniken. Auch die stilistische Vielfalt und die Monumentalität der Entwürfe dürfte das Gefühl der Überwältigung hervorgerufen haben. Während Picassos Werk in seinen früheren Phasen stilistisch deutlich unterschieden war – so dass sich die Blaue von der Rosa Periode, der die Form sprengende Kubismus vom geschlossenen Kontur des Neoklassizismus abhebt –, bilden die Stile in Picassos spätem Werk eine Synthese. Zudem verschmelzen die Medien: Das graphische Element der Linie erscheint als Ausdrucksträger in der Malerei. In Skulpturen wiederum falten bemalte Flächen sich in den Raum und erzeugen auf diese Weise Grenzgänge zwischen den Gattungen.

Picassos Werk der letzten beiden Lebensjahrzehnte hält Rückschau. Revisionen des eigenen Werks nehmen bekannte Themen auf und erneuern sie. Doch geschieht dies vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen und vielfach im Dialog mit künstlerischen Werken – von den Alten Meistern bis zur Pop Art. Picasso entwickelte Verfahren weiter, die Henri Matisse in seinen Cut-outs begonnen hatte. Der Tod des Künstlerfreunds im November 1954 löste auch eine intensive Auseinandersetzung Picassos mit dessen Themen aus – oder, wie es Picasso zuspitzte: „Als Matisse starb, hinterließ er mir seine Odalisken.“ Picasso ging dafür zu den Skizzen zurück, die er bereits in den 1940er Jahren zu Eugène Delacroix’ Gemälde Die Frauen von Algier gemacht hatte. In einer der Odalisken Delacroix’ erkannte er Jacqueline wieder, mit der er in diesem Jahr eine Beziehung einging. Im folgenden Jahr zog er mit ihr und ihrer Tochter Catherine in die Villa La Californie. Jacqueline inspirierte Picasso zu zahlreichen Interieur-Darstellungen der Villa. Sie zeigen sie als Muse. Ihr Lieblingsplatz, der Schaukelstuhl, repräsentiert ihre Allgegenwart an Picassos Schaffensorten.

Jacqueline Picasso inspirierte, orchestrierte und verwaltete die überwältigende Fülle, die Brassaï in Picassos Atelier beschrieb. Sie erhielt nach Picassos Tod einen bedeutenden Teil seines Œuvres, als es unter den Erben aufgeteilt wurde. Für das neue Picasso Museum in Paris wählte der französische Staat aus Picassos Nachlass Werke aus allen Phasen und Techniken aus. Die kanonisierten Phasen des Œuvres nahmen dabei den größten Raum ein. Das späte Werk Picassos hat sich deshalb in Anzahl und Qualität bis heute am besten in den Sammlungen der Familie erhalten – so auch in der Sammlung Jacqueline Picasso. In dieser Sammlung befinden sich weithin bekannte Werke, die bislang kaum im Original zu sehen waren. Bekannt sind sie durch die berühmten Photographien von Lucien Clergue, David Douglas Duncan oder Edward Quinn: Picasso und seine Frau in den Ateliers der Villa La Californie, der Werkstatt in Mougins nördlich von Cannes und am Rückzugsort der Familie, Schloss Vauvenargues in der Provence. Während die Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und Keramik, die nach seinem Tod in Staatsbesitz übergingen, seit 1985 im Musée Picasso in Paris der Öffentlichkeit zugänglich sind – und 2005 in einer repräsentativen Auswahl in der Ausstellung Pablo. Der private Picasso in der Neuen Nationalgalerie in Berlin zu sehen waren –, blieben weite Teile des Schatzes, den die Ateliers bargen, im Besitz der Familie.

„Wir freuen uns sehr auf Picasso in Potsdam! Unser Dank gilt Catherine Hutin, Tochter Jacqueline Picassos, die sich für die Ausstellung Picasso. Das späte Werk. Aus der Sammlung Jacqueline Picasso im Museum Barberini von 136 Arbeiten trennte, die bis auf wenige Ausnahmen zum ersten Mal in Deutschland zu sehen sein werden“, sagt Ortrud Westheider, Direktorin des Museum Barberini. „Die Ausstellung versammelt neben Gemälden Zeichnungen, Skulpturen, Keramik und Druckgraphik und zeigt das Gestaltungsspektrum im späten Werk Picassos. Mit dieser großzügigen Leihgabe ermöglicht sie erstmals, die Vielfalt und Aktualität von Picassos Schaffen in den Jahren 1954 bis 1973 mit den Werken ihrer Sammlung zu veranschaulichen.“

Schon Picassos Bruch mit dem Kubismus nach dem Ersten Weltkrieg irritierte die Kunstwelt, da sein neuer Klassizismus dem Weg einer fortschreitenden Abstraktion widersprach. Nach dem Zweiten Weltkrieg, den er im von den Nationalsozialisten besetzen Paris überstand, erneuerte der Künstler sein Werk durch Experimente in der Eisenskulptur, der Monumentalmalerei, der Keramik und in druckgraphischen Techniken. In den 1950er und 1960er Jahren wurde Picasso durch zahlreiche Großaufträge ausgezeichnet: Reliefs in Oslo und Barcelona, Wandbilder im Gebäude der UNESCO in Paris und einer Kapelle in Vallauris sowie die monumentale Stahlskulptur am Civic Center in Chicago entstanden in Zusammenhang mit den ausgestellten Werken.

Ausgewählt wurden die Werke der Potsdamer Schau von Bernardo Laniado-Romero, vormals Direktor der Picasso-Museen in Barcelona und Málaga, der als Gastkurator Konzept, Ausstellung und Katalog verantwortet. Sein kuratorischer Ansatz rückt die Auseinandersetzung mit dem Künstler von den 1950er bis zu den frühen 1970er Jahren in den Fokus – jene Zeit, in der in Paris die existentialistische Kunst des Informel, in New York der Abstrakte Expressionismus und schließlich in Reaktion darauf die Pop Art entstanden. „Picasso hat sich zeitlebens immer wieder neu erfunden. Sein spätes Werk zeugt von einer stilistischen Vielfalt, die diese Schaffensphase ebenso dynamisch macht wie die vorherigen“, erklärt Bernardo Laniado-Romero. „Diese Ausstellung lässt nachvollziehen, wie Picassos stetige künstlerische Metamorphose und Kreativität seine Karriere bis in die letzten Lebensjahre auszeichneten.“

Ein umfangreiches Veranstaltungs- und Vermittlungsprogramm mit Vorträgen, Führungen, Diskussionen, Konzerten und Filmen begleitet die Ausstellung. In gemeinsamen Veranstaltungen weisen die Sammlung Berggruen an den Staatlichen Museen zu Berlin und das Museum Barberini auf Picasso in Berlin und Potsdam hin.

Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft des Botschafters des Königreichs Spanien in Deutschland, S. E. Ricardo Martínez.

Mehr unter www.museum-barberini.com

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