Idiosynkratische Reaktionen – sei es die spontane Abneigung, die unerklärliche Zuneigung, der Spleen oder die geradezu allergische Aversion – sind Grenzphänomene, angesiedelt in einer blitzhaft zusammentretenden Konstellation aus körperlichen, seelischen und geistigen Impulsen. Gemeinhin übersetzt als „eigene“ oder „eigentümliche Mischung“, macht die Idiosynkrasie das Subjekt einerseits für einen Moment machtlos, andererseits irreduzibel besonders. Silvia Bovenschen hat sich mit den „Spielformen der Idiosynkrasie“ in ihrem vielleicht eigensinnigsten Buch Über-Empfindlichkeit auseinandersetzt, das im Zentrum der Aufmerksamkeit des Vortrages steht. Die selbst souverän zwischen Wissenschaft und Essayistik stehende Monographie erlaubt nicht nur einen Einblick in das vielleicht wichtigsten Motiv von Bovenschens Werk – die Vermittlungs- und Erscheinungsweisen von Natur –, sondern auch eine Annäherung an das zeitgenössische Verhältnis von Empfindsamkeit, Empfänglichkeit und Überempfindlichkeit.

Robert Zwarg ist Autor und Übersetzer und lebt in Leipzig. Im Wintersemester 2021/22 sowie im Sommersemester 2022 hatte er die Gastprofessur für Kritische Gesellschaftstheorie der Justus-Liebig-Universität Gießen inne. Zuletzt erschien: „Aus unsicherer Distanz: Über Silvia Bovenschen“ (WestEnd. Neue Zeitschrift für Sozialforschung 01/2022). Er veröffentlicht außerdem regelmäßig in der Jungle World.

Mehr unter: www.kunsthallelingen.de

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