Jonathan Hirsch (Berlin) – Aus der Kairoer Geniza ins Bücherregal

Die Geschichte der jüdischen Gemeinschaften in Ägypten ist tief verwurzelt und vielschichtig. Im Zentrum des kommenden Vortrags „Aus der Kairoer Geniza ins Bücherregal: Jüdische Erneuerung im kolonialen Ägypten“ steht die spannende Verbindung zwischen kolonialer Wissensproduktion und jüdischer Selbstbehauptung im Nahen Osten.

Der Historiker Jonathan Hirsch, Doktorand am Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg und der Universität Potsdam, beleuchtet in seinem Vortrag eine bislang wenig beachtete Perspektive auf die jüdische Geschichte Ägyptens um 1900. Im Fokus steht dabei die Rolle der Ben-Ezra-Geniza und die aktive kulturelle Arbeit lokaler jüdischer Akteure wie Oberrabbiner Raphael Ben Shimon, der mithilfe des Buchdrucks versuchte, die jüdische Identität in einer sich wandelnden Welt zu stärken.

Anders als es die europäische Orientalistik oft vermuten ließ, war die jüdische Gemeinde Kairos keine passive Hüterin vergangener Schriften, sondern Teil einer lebendigen Erneuerungsbewegung. Hirsch zeigt, wie sich die jüdischen Gemeinden im kolonialen Ägypten zwischen europäischen Gelehrteninteressen, orientalistischem Blick und eigenständiger kultureller Selbstbehauptung positionierten.

Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den kolonialen Spannungen zwischen europäischer Wissenschaft und lokaler jüdischer Erneuerung sowie dem ambivalenten Vermächtnis von Solomon Schechter und anderen europäischen Forschern, die Manuskripte aus der Geniza nach Europa überführten.

Der Vortrag ist eingebettet in einen interdisziplinären Kontext zwischen Jüdischen Studien und Postkolonialer Theorie und knüpft an Hirschs jüngste Veröffentlichung an: Im Band „Minor Perspectives on Modernity beyond Europe“ (Ergon Verlag, 2023) setzt er sich mit dem arabisch-jüdischen Wissenschaftsdiskurs im Ägypten der Zwischenkriegszeit auseinander.

Mehr unter: www.jm-hohenems.at

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