Kurz vor der Eröffnung der Ausstellung sprachen wir mit der Kuratorin, Dr. Susanne Knödel und Cheong Jingi, dem Direktor des National Folk Museum of Korea.
Zur Ausstellung
Aus der langjährigen Kooperation des Museums für Völkerkunde Hamburg und des National Folk Museum of Korea ist ein gemeinsames Ausstellungsprojekt hervorgegangen. Es spürt dem Stellenwert von Traditionen in der heutigen koreanischen Gesellschaft nach, zeigt Brüche, Widersprüche und Neuinterpretationen ebenso auf wie die Neuaushandlung von Traditionen für die Gegenwart. Nach dem Ende der japanischen Annexion und dem Koreakrieg begann für die koreanische Gesellschaft eine selbstbestimmte Suche nach einer neu-konstruierten nationalen Identität. Die gegenwärtige große Bedeutung der Sammlungsobjekte des Museums für Völkerkunde ist verknüpft mit der hohen Wertschätzung historischer Artefakte und Traditionen im alltäglichen Leben in Südkorea. Für das Museum für Völkerkunde Hamburg ist dies eine einmalige Gelegenheit, die eigene Sammlung in den gegenwärtigen kulturellen Zusammenhang einzuordnen.
Zu diesem Anlass wird eine besondere Auswahl der bedeutenden historischen Sammlung präsentiert und mit Unterstützung der koreanischen Kolleg_innen interpretiert. Die Koreasammlung des Museums für Völkerkunde umfasst knapp 3000 Sammlungsstücke, 150 davon werden ausgestellt. Viele Stücke kamen durch den Hamburger Kaufmann H.C. Eduard Meyer ins Haus, der ab 1884 in Korea einen Import-Exporthandel betrieb. Über 20 Jahre lang vertrat er nach seiner Ernennung durch König Gojong Korea als erster Honorarkonsul in Deutschland. Weitere Sammlungsteile wurden von dem Geologen Prof. Carl Gottsche gesammelt, Professor am Kolonialinstitut, der späteren Universität Hamburg, der im Auftrag des Königs Gojong nach Bodenschätzen suchte. Er brachte eine wissenschaftsgeschichtlich bedeutende Sammlung koreanischer Landkarten ins Haus. Die Ethnologen und ehemaligen Museumsmitarbeiter Gernot Prunner und Cho Hungyoun erweiterten und aktualisierten ab den 1970er Jahren bereits vorhandene Sammlungen zum koreanischen Schamanismus und zur Alltagskultur. Seit 2014 erforschen Wissenschaftler_innen des südkoreanischen National Research Institute of Cultural Heritage (NRICH) die Sammlung und erarbeiten einen Katalog dieser Sammlung. Durch die japanische koloniale Annexion 1910-1945 und den Koreakrieg befinden sich mehr Kunstund Kulturschätze im Ausland als in Korea selbst. Das seit zwei Jahrzehnten weltweit durchgeführte NRICH-Forschungsprojekt dient dazu, die im Ausland befindlichen Kunst- und Kulturschätze zu erfassen und Zugang zum eigenen Kulturerbe zu gewinnen. Die Objekte der Hamburger Sammlung sind wichtige Zeugnisse der Kunst- und Wissenschaftsgeschichte, der religiösen Eigenständigkeit und der früheren Alltagskultur des Landes. Sie dokumentieren das wissenschaftliche Interesse und Hamburgs Beziehungen zu Korea.
Beschleunigung
Eine besondere Rolle in der Ausstellung spielen Werke von Koo Bohnchang. Der 1953 geborene Künstler, der in den 1980er Jahren in Hamburg Fotografie studierte, beschäftigt sich intensiv mit der Ästhetik der Joseon-Dynastie und übersetzt sie in eine moderne Bild- und Videosprache. Seine Werke vermitteln zwischen der technikaffinen, schnelllebigen Moderne des heutigen Südkorea und der bewussten Reduktion auf Wesentliches, die er als wichtiges Merkmal der koreanischen Kultur und Ästhetik sieht.
Ruhe
Das Kuratorenteam des Museums für Völkerkunde konzipierte anhand der Museumssammlung den historischen Ausstellungsteil, er beschäftigt sich mit Themen aus der koreanischen Tradition, die im heutigen Korea Thema gesellschaftlicher Diskurse sind. Dazu gehört zunächst das konfuzianische Ideal der Schlichtheit, das sich hier in der Ästhetik historischer Gebrauchsgegenstände zeigt. Weitere Sammlungsstücke entstammen der Tradition des Neokonfuzianismus – einer Lehre, die entgegen ihrem Namen älter ist als die heute in China praktizierte Richtung des Konfuzianismus, und die Korea auch heute in besonderer Weise prägt.
Das Thema Statusgesellschaft – kristallisiert in elaborierten Kleidungsregeln – weist auf die Bedeutung der Bildung als Grundlage jeder Karriere schon Korea der Joseon-Zeit (1392-1910) hin. Der Platz, den das alte Korea für sich in der Welt sah – anfangs war es eng angelehnt an China, doch seit dem 15. Jahrhundert betonte es zunehmend seine Position als eigenständiges Land mit eigener Kultur– wird sichtbar in einer besonderen Entwicklung der Kartographie, einer Hinwendung zu eigenen religiösen Traditionen wie dem Berggott und Dorfwächter-Figuren, sowie in einer allmählichen Distanzierung von China in der Kunst durch Betonung der starkfarbigen „Minhwa“ – Maltradition, die es nur in Korea gibt.
Interviews mit koreanischen Künstler_innen und Wissenschaftler_innen über ihre Sicht auf die heutige Bedeutung der dargestellten Traditionen ergänzen diesen Ausstellungsteil. Koreanische Traditionen wurden ab den 1970er Jahren bewusst „zurückerobert“ und neu bewertet, nachdem sie während der japanischen Annexion 1910-1945 verboten waren – was zeitweise sogar die Benutzung der eigenen Sprache und des eigenen Namens ausschloss – und nachdem das Land danach im Koreakrieg einen fast kompletten Verlust seiner Kulturdenkmäler und Kunstschaffenden erlebte. Wichtig war dem koreanischen Ausstellungsteam daher auch eine Darstellung der Geschichte des Landes aus eigener Sicht und eine Konzentration auf jene Ereignisse, die ihr Weltverständnis heute prägen.
Ein abschließender Ausstellungsteil thematisiert die Bedeutung von Sammlungen wie der des Museums für Völkerkunde für die koreanische Forschung und stellt das gemeinsame Forschungsprojekt vor.
Interview Koo Bohnchang, Künstler: Traditionelle koreanische Ästhetik heute
Koo Bohnchang, geboren 1953 Nach seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Yonsei Universität in Seoul, studierte Koo Bohnchang Fotografie an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Zurzeit unterrichtet er Fotografie an der Kyungil Universität in Gyeongsan. Als einer der bekanntesten Fotografen Koreas, ist er wegweisend in der experimentellen Fotografie.
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