Im Rahmen der Reihe DOUBLE FEATURE sprach der Videokünstler Timur Si-Qin im August 2016 mit Kurator Matthias Ulrich.
Timur Si-Qin präsentierte in der August-Ausgabe des Double Feature seine Arbeit „Attain Mirrorscape“.

Was der Mensch über die Welt, die ihn umgibt, sagen kann und wie er zu diesen Einsich­ten kommt, sind Fragen, mit denen sich die Philo­so­phie seit jeher beschäf­tigt. Versuchte die Meta­phy­sik noch die Dinge an sich zu entschlüs­seln und ihnen auf den Grund zu gehen, rich­tete Kants koper­ni­ka­ni­sche Wende den Blick von den Objek­ten der Erkennt­nis auf die Frage, wie die Vernunft und mithin also das Erken­nen selbst funk­tio­niert. Der soge­nannte „lingu­is­tic turn“ wiederum brachte im 20. Jahr­hun­dert einen erneu­ten Para­dig­men­wech­sel: dem Denken liegt die Spra­che zu Grunde, so die Annahme. Nur diese können wir analy­sie­ren und zu verste­hen suchen. Ob jenseits der Spra­che und damit außer­halb unse­res eige­nen Bewusst­seins Dinge an sich über­haupt exis­tie­ren oder nicht, darüber lässt sich im Zwei­fels­fall gar nichts sagen oder wie Witt­gen­stein es poin­tiert formu­lierte: Wovon man nicht spre­chen kann, darüber muss man schwei­gen. Der Einfluss dieser Theo­rie auf den philo­so­phi­schen und sozio­lo­gi­schen Betrieb war enorm, und hatte damit auch großen Einfluss auf Kunst­strö­mun­gen und -rezep­tion.

Seit eini­gen Jahren rumort es in Teilen des philo­so­phi­schen Wissen­schafts­be­triebs, und einige meinen schon einen neuen Para­dig­men­wech­sel auszu­ma­chen: vom lingu­is­tic turn zum mate­rial turn. Lose zusam­men­ge­fasst unter den Selbst­be­zeich­nun­gen New Mate­ria­lism oder Speku­la­ti­ver Realis­mus rück­be­sin­nen sich einige Philo­so­phen auf die Meta­phy­sik und beschäf­ti­gen sich nun wieder mit der Wirk­lich­keit, also jenem, was sich außer­halb unse­res eige­nen Bewusst­seins befin­det.

In der Austel­lung „Specu­la­ti­ons on Anony­mous Mate­ri­als“ konnte man im Kass­ler Fride­ri­cia­num vom 29. Septem­ber 2013 bis zum 23. Februar 2014 den Einfluss dieser philo­so­phi­schen Strö­mung auf den jungen Kunst­be­trieb sehen: Neben Künst­lern wie Ed Adkins oder Pamela Rosen­kranz stellte auch der in Berlin gebo­rene Künst­ler Timur Si-Qin (*1984) dort aus. In seinen multi­me­dia­len Arbei­ten beste­hend aus Skulp­tu­ren, Video­ar­bei­ten und Raum­in­stal­la­tio­nen wie auch in Inter­views mit dem Künst­ler selbst wird dessen direkte Bezug­nahme auf den New Mate­ria­lism deut­lich. „Matter matters“ (Das Mate­rial ist bedeu­tend), wie es der italie­ni­sche Philo­soph Mauri­zio Ferra­ris auf dem die Ausstel­lung beglei­ten­den Sympo­sium in seinem Vortrag prokla­mierte, könnte man als beglei­tende Unter­schrift unter Si-Qins Werk setzen.

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Über DOUBLE FEATURE

Seit nunmehr drei Jahren ist die SCHIRN ein Forum für natio­nale und inter­na­tio­nale Film- und Video­künst­ler. Im Gespräch mit den SCHIRN Kura­to­ren geben inter­na­tio­nale Künst­le­rin­nen und Künst­ler tiefe­ren Einblick in ihre Arbeit und insbe­son­dere in ihr filmi­sches Inter­esse. „Double Feature“ versteht sich als Platt­form für ganz unter­schied­li­che Tenden­zen und Ausdrucks­for­men der künst­le­ri­schen Film­pro­duk­tion sowie der Gegen­über­stel­lung bekann­ter und weni­ger bekann­ter Posi­tio­nen. Mehr unter www.schirn.de/ausstellungen/2016/double_feature/

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