Mit Philipp Stoellger, Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg, und Rüdiger Zill, Blumenbergbiograf, diskutierten bei den 2. Blumenbergtagen im KULTUM Graz am 9. März 2024 zwei eminente Blumenberg-Experten über dessen monumentales Buch Höhlenausgänge sowie die mythisch wuchtige Urmetapher der Höhle und blicken dabei auch auf theologische und popkulturelle Höhlenbilder – und vieles mehr.
Moderation: Florian Traussnig
„Verstehen braucht Distanz. Das zu Verstehende hat ein Moment der Fremdheit an sich, das man vor sich hinhalten muss, um es überhaupt in den Blick nehmen zu können. Zum Selbstverständlichen hat man diese Distanz nicht; es ist eher der Rahmen, durch den hindurch man die Welt betrachtet, wie der Rahmen einer Brille, die das Sehen ermöglicht, ohne es selbst zum Thema zu machen. Für den jungen Hans Blumenberg hat sich dieses Selbstverständliche unserer Weltsicht vor allem an den absoluten Metaphern festmachen lassen.“
Das schrieb unser Diskussionsgast Rüdiger Zill, umsichtiger Biograf des Philosophen, „absoluten Lesers“ und Metaphorologen Hans Blumenberg. Unser Blick auf die Welt, die Sprache, das – unser! – Leben ist nach Blumenberg also bildhaft, wird von Symbolen, Anekdoten, Metaphern gerahmt, getragen, mitunter wohl auch gelenkt. Unsere menschliche Wissens-, Erkenntnis- und Sinnsuche braucht vielfach „keinen Begriff, sondern ein Bild“, schrieb Blumenberg, dieser philosophische Nesthocker (Franz Josef Wetz), einst in Anlehnung an Immanuel Kant.
Hans Blumenbergs Buch „Höhlenausgänge ist“ daher, so Zills live zugeschalteter Gesprächspartner, Philipp Stoellger, „seine Kulturphilosophie in Gestalt einer Kulturgeschichtsphänomenologie am Leitfaden der Rezeption des Höhlengleichnisses.“ Auf mehr als 800 eng bedruckten, ebenso leidenschaftlich wie sperrig geschriebenen Suhrkamp-Seiten denkt Blumenberg über unzählige Höhlentexte, vorstellungen und -phänomene nach; arbeitet sich dabei am vermeintlich Selbstverständlichen, nämlich den Bildern, an die wir unsere Begriffe anlehnen, ab; ist dabei weniger an „politischer Philosophie und Ethik“, sondern vor allem „an der symbolisch-kulturellen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit“ und an Erzählungen selbst interessiert (Franz Josef Wetz); schert sich dabei wenig um philosophische oder hermeneutische Systematik, sondern sucht das Anschauliche (sowie den wortreichen Umweg), sucht Sinn, Seelenwärme, den Schoß der Mutter, den tröstenden regressus ad uterum in der sicheren Höhle; stellt sich aber auch dem emanzipatorischen Hinaustreten des Menschen aus der Höhle; Die Höhle, so Zill, ist überhaupt „eine der erfolgreichsten Metaphern“, eine absolute Metapher, ein Urbild also, das sowohl unsere Lebenswelt als auch das erkenntnistheoretische Nachdenken über uns und unsere Existenz sowie die individuelle wie gesamtmenschliche Entwicklung in dieser Welt, (mit)bestimmt. Onto und Phylogenese nennt das die Fachwelt.
Mehr Mythen- als Theoriebildner
Ein mächtiges, ja x-fach aufgefächertes Motiv in Blumenbergs Wälzer ist dabei Platons Höhlengleichnis. Dieses kurze, berühmte „Stück über die Gefangenen in der Höhle und den einen, der befreit, ans Licht geführt wird und sich am Schluss doch wieder unter die anderen einreiht, bildet für Blumenberg so etwas wie ein Urgleichnis der Philosophie“ (Robert Buch). Uns – zuvor filmisch in die Thematik eingestimmte – soll dieses berühmte, gern als „erstes Kino“ gelesene, erkenntnistheoretische Lichtspiel über den „erwünschtesten Trug“ einer heimeligen Höhle auch als Rutsche in die Populärkultur gelten: Auch die Mythenschmiede in Hollywood arbeitete sich an diesen Höhlen(ausgängen) höllisch ab! Und führt uns dabei zu Filmen wie der Matrix oder gar in die Welt der Querdenker bzw. in ein hoch aktuelles Spannungsfeld zwischen Erkenntnis- und Verschwörungstheorie. Bei seiner alles andere als rein analytischen „Arbeit am Höhlenmythos“‘, so Zill, trägt nicht nur das Kino dick auf, sondern auch „der späte Blumenberg wird zum Doppelagenten, denn einerseits ist er ein Höhlenforscher, der Licht in die Dunkelheit vergangener Höhlenbilder zu bringen versucht, zum anderen wird er selbst zum Mythenbildner, indem er in seiner Anthropologie die Höhle seinerseits als Metapher benutzt: den Ausgang aus der Höhle als Anfang der Geschichte des Menschen.“
mehr unter: kultum.at