A mentsh is a mentsh – Kunst & Kultur nach dem 7. Oktober – Über den Umgang mit Antisemitismus, Rassismus und Post-Kolonialismus

Die neue Gesprächsreihe mit Nicole Deitelhoff und Meron Mendel (Moderation) Gäste: Hito Steyerl, Bracha Lichtenberg Ettinger und Johanna Adam In einem Bühnenbild von Naneci Yurdagül

Der islamistische Terror und Krieg in Nahost belasten auch das gesellschaftliche Klima in Deutschland und Europa. Antisemitische Vorfälle häufen sich – selbst in künstlerischen und wissenschaftlichen Kontexten wie jüngst an der UdK und FU Berlin oder schon 2022 der documenta fifteen.

Paradoxerweise wird sich dabei nicht selten auf die Perspektive derjenigen berufen, die ihrerseits Unrecht und Leid erfahren haben. So werden ansich emanzipatorische Ansätze des Anti-Rassismus und Post-Kolonialismus bemüht, israelkritische oder gar offen judenfeindliche Positionen zu vertreten. Einen vorläufigen Tiefpunkt dieser Rhetorik wurde mit dem jüngsten Rücktritt der Harvard-Präsidentin Claudine Gay erreicht, die einen Aufruf zum Völkermord unter Berufung auf die Meinungsfreiheit relativierte – und sich nun ihrerseits rassistischen Anfeindungen durch rechte Kräfte ausgesetzt sieht. Kräfte, die den „importierten“ Antisemitismus muslimischer Einwanderer kritisieren, um rassistische Hetze gegen Migrant*innen und Flüchtlinge zu betreiben. Und als ob all dies nicht schon verwirrend genug wäre, wird überall dort, wo um Mäßigung gebeten und radikalen Positionen widersprochen wird, allzu schnell der Vorwurf der Zensur erhoben – mitunter um das „unterdrückerische“ Gegenüber gleich darauf wieder zu attackieren oder wie an der UdK einfach niederzubrüllen. Nicht zuletzt wird das Schweigen selbst als Ignoranz gegenüber dem Leiden der Opfer auf der einen oder anderen Seite beargwöhnt. Es ist also kompliziert geworden.

Wie soll man nun mit all dem umgehen? Wie soll man all diesen Konflikten und Sensibilitäten, realen und imaginierten Verletzungen, Unschärfen und Widersprüchen begegnen? Reicht eine „Antisemitismus-Klausel für die Kulturförderung“, wie sie gerade der Berliner Kultursenator eingeführt hat? Oder liegt das Problem tatsächlich sehr viel tiefer in einer Verschiebung des Diskurses in der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft? Wie lässt sich angesichts dieser Situation eine öffentliche Debattenkultur pflegen, die den Ansprüchen einer freien, offenen, demokratischen Gesellschaft gerecht wird, die vielfältigen und widerstreitenden Bedürfnisse ihrer Bürger*innen ernst nimmt und sich zugleich selbst vor Anfeindungen schützt? Mit anderen Worten: Wie können wir inmitten dieses Dilemmas halbwegs integer miteinander reden und zusammenwirken? Von Mensch zu Mensch?

Der Titel der Reihe ist der Arbeit „Ohne Titel – a mentsh is a mentsh“ des Künstlers Naneci Yurdagül entliehen. Yurdagül gestaltet für die Serie Bühnenbild und Plakate.

Bracha Lichtenberg Ettinger, 1948 in Tel Aviv geboren, ist Künstlerin, Theoretikerin und Psychoanalytikerin. Sie trat im November 2023 aus der Findungskommission für die künstlerische Leitung der documenta 16 aus, nachdem ihrer Bitte nicht entsprochen worden war, angesichts des Kriegs in Israel und Gaza den Findungsprozess zu verlangsamen.

Hito Steyerl ist Künstlerin, Filmemacherin und Autorin. Sie zog 2022 wegen der unzureichenden Aufklärung der Antisemitismus-Vorfälle ihre Arbeit von der documenta fifteen zurück.

Johanna Adam ist seit 2013 Kuratorin an der Bundeskunsthalle. 2023 kuratierte sie mit Lynhan Balatbat-Helbock und Dan Thy Nyguen die Ausstellung „Wer wir sind. Fragen an ein Einwanderungsland“. Dort waren unter vielen anderen auch Arbeiten von Hito Steyerl und Naneci Yurdagül zu sehen.

Nicole Deitelhoff ist Leiterin des Peace Research Institute Frankfurt – Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main. Sie leitete 2022 die Expertenkommission, die den Antisemitismus-Vorwürfen gegen die documenta fifteen nachging.

Meron Mendel, 1976 in Ramat Gan geboren, ist Professor für Soziale Arbeit an der Frankfurt University of Applied Sciences und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank. Zuletzt erschien von ihm „Über Israel reden. Eine deutsche Debatte“ (KiWi 2023).

Naneci Yurdagül (* Frankfurt am Main) ist ein deutscher Bildhauer und Performance Künstler. Er lebt und arbeitet in Frankfurt am Main und Bombay. 2011 wurde Yurdagül mit seiner Arbeit UNTITLED – MADE IN ISRAEL eingeladen, als erster deutscher Künstler in der Geschichte des Staates Israel, in der Israeli Contemporary Collection des Tel Aviv Museum Of Art, eben dieses Werk zu zeigen. Seine Performance LORELEY wurde am 3. Oktober 2023 in der Bundeskunsthalle uraufgeführt.

Mehr unter: www.bundeskunsthalle.de/studiobonn

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